Studie zu Unternehmensjuristen: Höher, schneller, weiter
751 Juristen in Kanzleien, Rechtsabteilungen und Rechtsdienstleistern in den USA sowie in 10 europäischen Ländern haben geantwortet: Was beschäftigt sie, welche Trends sehen sie, welchen Herausforderungen sehen sie sich ausgesetzt? Der Technologieanbieter Wolters Kluwer hat auch im Jahr 2022 seine „Future-Ready-Lawyer-Studie“ durchgeführt – und die Antworten der Befragten sind eindeutig: höher, schneller, weiter.
Ein ständiger Wandel zeichnet die Arbeit in der Rechtsabteilung aus, die Juristen müssen sich in einem zunehmend dynamischen, komplexen und unsicheren Umfeld behaupten. Mehr Compliance-Anforderungen von Datenschutz bis ESG und die Bewältigung von immer mehr und immer komplexeren Informationen sind nur einige der Herausforderungen, denen die Unternehmensjuristen im Alltag begegnen. Hinzu kommen laut den Befragten neue Erwartungen der Unternehmensführung, eine erhöhte Preissensibilität beim Einkauf externer Dienstleistungen und ein immer stärkerer Fokus auf verbesserte Effizienz und Produktivität. Diese Trends gaben fast 80 % der zu ihrem Berufsalltag befragten Juristen an.
Mehr externe Rechtsdienstleister
Der ständige Wandel wird zur Normalität. Schon heute arbeitet die Mehrheit der Unternehmensjuristen ganz anders als noch vor wenigen Jahren. Für die kommenden Jahre erwarten die Syndizi weitere erhebliche Veränderungen in der Art, wie sie ihre Services erbringen werden.
Dabei ändert sich ihres Erachtens vor allem, wer die Arbeit machen wird: Neben alternativen Gebührenstrukturen (86 %) und mehr Insourcing juristischer Arbeit (86%) gehen sehr viele Syndizi auch davon aus, verstärkt externe Drittanbieter (81 %) und alternative Rechtsdienstleister (84%) einzusetzen.
Diese Bedeutung externer Ressourcen für die Bewältigung der Arbeit in der Rechtsabteilung hat dabei sprunghaft zugenommen: Noch im Jahr 2020 hatten nur 68 % der Syndizi die Einschaltung externer Dienstleister als relevanten Trend erachtet. Der Anstieg um 16 % in zwei Jahren macht klar: Der Einsatz flexibler externer Ressourcen ist zum selbstverständlichen Bestandteil der Arbeit in Rechtsabteilungen geworden.
70 % der Unternehmensjuristen wollen 2023 den Arbeitgeber wechseln
Neben der Flexibilität und Planbarkeit zum Beispiel beim Einsatz von Projektjuristen dürfte dabei auch der Fachkräftemangel eine Rolle spielen, der den Rechtsmarkt nun voll erreicht hat. Die Besetzung von Positionen wird schwieriger und dauert länger, die Unternehmen tun sich schwer damit, gewonnenes Personal zu halten. 86 % der befragten Unternehmensjuristen gaben an, ihre Rechtsabteilung habe bedeutende Auswirkungen des sog. „Big Quit“ – der großen Kündigungswelle – gespürt, die während der Corona-Pandemie um sich griff. Und der Trend hält an: 70 % der teilnehmenden Syndizi halten es für eher oder sogar sehr wahrscheinlich, dass sie im Laufe des nächsten Jahres ihre aktuelle Position in der Rechtsabteilung aufgeben.
Die Legal Departments werden dieser Entwicklung offenbar aktuell noch nicht hinreichend gerecht: Nur 33% der Befragten sehen ihre Abteilung als sehr gut gerüstet, um juristisches Personal einzustellen oder zu halten. Die Unternehmensjuristen wissen offenbar, dass sie sich mittlerweile in einem Bewerbermarkt bewegen: Die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes, früher ein sehr relevantes Kriterium für die Auswahl eines Jobs und den Verbleib darin, rangiert laut der Studie nur noch auf Platz acht ihrer wichtigsten Erwartungen an den Arbeitsplatz.
Erst auf Platz 10 dieser wichtigsten Erwartungen findet sich das gerade in der Rechtsbranche zu Beginn der Pandemie viel diskutierte Arbeiten im Homeoffice. Allerdings gehen 69 % der befragten Unternehmensjuristen ohnehin davon aus, auch zukünftig voll oder teilweise remote zu arbeiten. In Vollzeit ins Büro zurückkehren werden demnach nur 31 % von ihnen, davon nur 9% aufgrund eigener Entscheidung, also obwohl der Arbeitgeber auch Remote-Arbeit genehmigt. 22 % müssen auf Anforderung des Unternehmens in Vollzeit zurück ins Büro.
Insgesamt halten weniger als 44% aller Unternehmensjuristen ihre Organisation für sehr gut darin, ihre 10 Top-Prioritäten für einen Arbeitsplatz zu erfüllen. Die Top Drei: Karriereentwicklung und schnelle Aufstiegschancen, eine moderate Arbeitsbelastung (Work-Life-Balance) und Investitionen in Tools und Technologien, um die Arbeit zu bewältigen.
Legal Tech wird immer wichtiger, aber das Know-How fehlt
87 % der befragten Syndizi halten es laut der Studie des Technologieanbieters Wolters Kluwer für äußerst oder sehr wichtig, für eine Rechtsabteilung zu arbeiten, die technologisch gut ausgestattet ist.
Dabei definieren sie als die wichtigsten Technologien in Rechtsabteilungen Rechtssachen- und Vertragsmanagement-Software, Werkzeuge fürs Dokumentenmanagement und Verschlüsselungstools. Obwohl 64 % der Rechtsabteilungen davon ausgehen, in den kommenden Jahren mehr in Software zur Unterstützung ihrer juristischen Arbeit zu investieren, stoßen sie laut der Studie bei der Implementierung auch auf Widerstand gegen die neuen Technologien.
Während im Jahr 2020 als Hauptargument gegen mehr Digitalisierung noch organisatorische Aspekte genannt wurden, erklären die Unternehmensjuristen die Widerstände nun mit mangelndem technologischem Wissen, Verständnis oder Fähigkeiten in der Abteilung. Bemerkenswert ist auch, dass die Befragten davon ausgehen, dass transformative Technologien große Auswirkungen in der Zukunft haben würden, für die Gegenwart aber nur 41 % der Befragten den Eindruck hat, dass die eigene Arbeit durch Technologien wesentlich verbessert würde.
Die Macher der Studie sehen in diesen Ergebnissen ein Indiz dafür, dass es womöglich nicht genug IT-Personal gebe, um die Juristen hinreichend zu schulen. Ein besserer Einsatz grundlegender Technologien könnte ihres Erachtens wesentlich für die die Nutzung transformativer Technologien sein.
Strengere Auswahl, weniger Sicherheit: Das Verhältnis zu Kanzleien
Von den Kanzleien, die sie mandatieren oder mandatieren wollen, erwarten die Rechtsabteilungen immer mehr. 84 % der Befragten gaben an, ihr Unternehmen unterziehe die Kanzleien, mit denen sie arbeiteten, strengeren Auswahlkriterien als früher.
Das wichtigste Kriterium ist dabei laut der Studie die Fähigkeit der Sozietäten, Produktivität, Effizienz und Kollaborationsprozesse mit Hilfe von Technologien zu verbessern. Für viele Unternehmensabteilungen praktizieren das schon heute, bis 2025 aber wollen ganze 97 % der befragten Rechtsabteilungen von Kanzleien beim Pitch verlangen, konkret anzugeben, welche Technologien sie einsetzen. Auf Platz zwei und drei des Relevanzrankings der Rechtsabteilungen: das Verständnis der Kanzlei für den Bedarf des Mandanten und die Spezialisierung auf das, was das Unternehmen wirklich braucht. Alternative Gebührenstrukturen und der Preis der Rechtsdienstleistung rangieren auf Platz 4 und 5 des Rankings.
Den wirtschaftsberatenden Kanzleien ist das zunehmend bewusst, sie rüsten technologisch auf und investieren auch in mehr Mandantenzufriedenheit. Dennoch und obwohl die meisten Rechtsabteilungen die Beziehung zu ihrer Kanzlei während der Pandemie verbessert haben, steigt für Kanzleien offenbar das Risiko, bestehende Mandanten zu verlieren. Obwohl sich 43 % aller Rechtsabteilungen mit ihrer derzeitigen Kanzlei sehr zufrieden zeigen, nimmt auch hier die Wechselbereitschaft massiv zu: 32 % der Syndizi gaben an, das Unternehmen werde im kommenden Jahr sehr wahrscheinlich die Kanzlei wechseln, weitere 46 % halten das immerhin für „eher wahrscheinlich“.
Ob in Rechtsabteilung oder Kanzlei: Zwar glauben insgesamt nur bis zu 36% aller befragten Juristen, ihre Organisation könne mit den wichtigsten Trends und deren absehbaren Auswirkungen gut Schritt halten. Und doch stellen sie sich nach eigenen Angaben immer besser auf jeden der Trends ein. Auch an den ständigen Wandel kann man sich gewöhnen.